Die Alte Oper Frankfurt hat am vergangenen Freitag erstmalig seit drei Jahren wieder den roten Teppich ausgerollt und die deutsche Filmbranche zur Vergabe der Hessischen Film- und Kinopreise empfangen. Zu den ausgezeichneten Filmen zählen »Vamos a la Playa«, »Einzeltäter Teil 3: Hanau« und »Zelle 5 – Eine Rekonstruktion«.
Hessens Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn hatte als Gastgeberin zahlreiche Gäste aus Politik, Gesellschaft und vor allem aus der Film- und Kinobranche eingeladen. Durch den Abend führte das Moderator*innen-Team Annabelle Mandeng und Rainer Ewerrien. Der goldene Löwe wurde unter anderem von der deutsch-iranischen Schauspielerin Enissa Amani, Produzent und Schauspieler Tyron Ricketts, Schauspielerin Margarita Broich, dem Präsidenten der deutschen Filmakademie Florian Gallenberger und hr-Intendant Florian Hager vergeben.
Die Gewinner*innen im Überblick:
Bester Spielfilm: »Vamos a la Playa« von Bettina Blümner
Jurybegründung: »Die Filmemacherin Bettina Blümner, bekannt durch ›Prinzessinnenbad‹, entwirft in ihrem Spielfilm ›Vamos A La Playa‹ erneut ein vielschichtiges Generationenporträt. Anhand einer Gruppe Twenty-Somethings (Leonard Scheicher, Victoria Schulz, Maya Unger) erzählt sie von der Suche nach einem verschollenen Freund auf Kuba. Der Film zeigt vignettenhaft, wie die unterschiedlichen Protagonistinnen und Protagonisten mit den transkulturellen Kontakten umgehen, und verdeutlich immer wieder auf kritische Weise, wie sich deren eurozentrische Perspektive in dem lateinamerikanischen Land auswirkt. Dabei mischt der Film narrative und semidokumentarische Momente, illustriert das Geschehen mit subjektiven Videoblogszenen und bietet keine eindeutigen Antworten auf komplexe interkulturelle Fragen.«
Bester Dokumentarfilm: »Einzeltäter Teil 3: Hanau« von Julian Vogel
Jurybegründung: »Julian Vogel zeigt in seinem Film das Leben der Opfer und Hinterbliebenen des rechtsextremistischen Terroranschlags von 2020 in der Hanauer Neustadt. Er zeigt, ohne zu kommentieren, lässt die Betroffenen sprechen, zeigt ihre Anstrengung, trotz allem weiterzumachen. Julian Vogel zeigt Stillstand, wortwörtlich. Er lässt Wut und Verzweiflung spüren. Die Bilder sind quälend, weil sie das Leben auf Pause erlebbar machen. Vogel gibt den Opfern und Hinterbliebenen Raum und Zeit, lässt teilhaben an der Trauer um den Sohn, den Bruder, aber auch an den schönen Erinnerungen an den besten Freund. Und er offenbart auch die eigene Hilflosigkeit des Filmemachers gegenüber Schmerz, Wut und Verzweiflung. Sie verschwinden nicht einfach, sie bleiben – für immer.«
Bester Kurzfilm: »Zelle 5 – Eine Rekonstruktion« von Mario Pfeifer
Jurybegründung: »›Zelle 5‹ erzählt eine erschütternde Abfolge von Ereignissen, die die Zuschauerinnen und Zuschauer tief in die Umstände eines Todesfalls in den Räumen einer Polizeistation hineinzieht. Durch die Anwendung einer forensischen Rekonstruktion nimmt ›Zelle 5‹ das Publikum gekonnt mit auf Spurensuche innerhalb dieser alptraumhaften Geschehnisse, Moment für Moment. ›Zelle 5‹ nimmt eine unvoreingenommene Haltung ein und präsentiert die Ereignisse ohne moralische Vorurteile. Dieser Ansatz ermöglicht es, dass der Nachhall des Schocks weit über die unmittelbare Handlung hinausgeht und Aufmerksamkeit auf das Gespenst des strukturellen Rassismus wirft, der seine Wurzeln tief in der Gesellschaft hat.«
Bester Hochschulabschlussfilm: »Work in Transition« von Emiliano Proietti, (Hochschule RheinMain)
Jurybegründung: »Der Filmemacher setzt selbstbewusst und sensibel zugleich seinen Blick auf ein wichtiges Thema unserer Zeit: Wie möchten wir in Zukunft leben? Was bedeutet Arbeit im Privaten und für die Gesellschaft? Die Erzählweise drängt sich dabei nie auf und schafft es, über eine kluge Auswahl an persönlichen Geschichten – unter anderem seine eigenen – etwas Größeres zu erfassen. Mit ungewöhnlichen Intervieweinstellungen und dem Blick fürs Detail bringt der Filmemacher die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Schmunzeln und zum Nachdenken.«
Bestes Drehbuch: »Jumoke« von Oliver Hardt
Jurybegründung: »Eine Stadt – zwei Welten. Hier der deutsche Banker Eddy, da die geflüchtete Nigerianerin Jumoke, die zur Prostitution gezwungen wird. Aus einer zufälligen Begegnung entwickelt sich eine Art Liebesbeziehung – mit offenem Ende. Was im ersten Moment wie eine altbekannte Geschichte klingt, wird im Drehbuch ›Jumoke‹ so überzeugend, genau und spannend erzählt, dass einen das überraschende Ende zugleich emotional erschüttert und gedanklich inspiriert. Regional verortet, aber mit globaler Dimension erzählt der Autor diese sehr besondere Liebesgeschichte zweier Einzelgänger.«
Ehrenpreis des Ministerpräsidenten für Alexandra Maria Lara
Schauspielerin und Präsidentin der Deutschen Filmakademie Alexandra Maria Lara erhielt den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten Boris Rhein. Zu Laras Stationen zählen unter anderem Rollen in namhaften Produktionen wie »Der Untergang«, »Rush - Alles für den Sieg« und »Der Fall Collini«. 2005 erhielt Lara eine Goldene Kamera als »Beste deutsche Schauspielerin«. Neben deutschen Filmen wie »Vom Suchen und Finden der Liebe« und »Der Baader Meinhof Komplex« spielte Lara auch immer wieder in internationalen Filmen wie an der Seite von Kate Winslet in »Der Vorleser« oder zuletzt in »The King’s Man: The Beginning«. Seit 2022 ist Lara gemeinsam mit Florian Gallenberger Präsidentin der Deutschen Filmakademie, die unter anderem auswählt, wer den Deutschen Filmpreis erhält.
Newcomerpreis für Behrooz Karamizade von Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn
Der mit 7.500 Euro dotierte Newcomerpreis geht an den deutsch-iranischen Filmemacher, Kameramann, Cutter und Produzenten Behrooz Karamizade. Er wurde 1978 in Ahwaz geboren und lebt seit 1985 in Deutschland. Das Studium an der Kunsthochschule Kassel schloss er mit Auszeichnung ab. In seinem ersten Langfilm »Leere Netze« erzählt er die Geschichte des jungen Iraners Amir, der bei einem Fischer an der rauen Küste des Kaspischen Meeres anheuert, um das Geld für die Heirat mit seiner großen Liebe Narges aufbringen zu können. Dabei verstrickt er sich in kriminelle Machenschaften illegaler Kaviar-Wilderei.
Schauspieler*innenpreis des Hessischen Rundfunks
Ensemble: Der Cast von »Was man von hier aus sehen kann«
Hauptrolle: Petra Schmidt-Schaller (in »Ein Schritt zum Abgrund«)
Nebenrolle: Brigitte Hobmeier (in »Tatort: Murot und das Paradies«)
Der Preis des hr ist undotiert.
Hessische Kinopreise 2023
Hauptpreisträger mit je 20.000 Euro Preisgeld: Mal seh’n-Kino (Frankfurt), Filmladen Kassel, Traumstern Kino in Lich. Weitere Preise nicht gewerbliche Kinos: Murnau Filmtheater (Wiesbaden), Filmforum Höchst (Frankfurt), Filmkreis – Das Unikino in Darmstadt, Kino Pupille (Frankfurt), Kommunales Kino Weiterstadt, naxos.Kino (Frankfurt), KiezKino (Kassel), Kino des Deutschen Filmmuseums (Frankfurt) und Caligari FilmBühne (Wiesbaden). Gewerbliche Kinos: Casablanca Art House (früher Kult Kinobar, Bad Soden), BALi-Kinos Kassel, Harmonie (Frankfurt), programmkinorex (Darmstadt), Capitol Arthousekino-Center (Marburg), Lichtspielhaus Lauterbach, Cinéma (Frankfurt), Kronberger Lichtspiele. Die Anerkennungen gehen an das Eldorado (Frankfurt) und den Filmklubb Offenbach.
Die Jury des Hessischen Film- und Kinopreises vergab zudem einen Sonderpreis an den Dokumentarfilm »Das Kino sind wir« von Livia Theuer, der die Geschichte einer ganz besonderen hessischen Kulturinstitution erzählt: Er feiert den Filmladen in Kassel und die engagierten Menschen dahinter. Der Film, so die Jury, »ist sich ganz sicher, dass es nicht nur, aber natürlich immer auch die Filme sind, die das Kino beleben und immer wieder neu erfinden. Der Filmladen in Kassel ist nicht nur Kinogeschichte, er ist Kinozukunft. Livia Theuer schafft es mit ihrem Dokumentarfilm, Lust aufs Kino zu machen.«